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Stefan HAKENBERG

Interkulturelle Montage

Montage als Form interkulturellen Komponierens

1999 wurden zur Eröffnung eines “Ostasien Zentrums” an der Harvard University, das einen institutionellen Rahmen für interkulturelle Studien zu asiatischen Themen bieten soll, Kompositionsaufträge vergeben. Im Sinne der zu gründenden Instituts sollten die neuen Werke für traditionelle Instrumente Asiens geschrieben werden und ästhetische Modelle für die gegenseitige Beeinflussung ostasiatischer Kulturen im westlichen Rahmen anbieten. Für die Uraufführung wurden Ishigure Masayo (japanisches koto), Ji Aeri (koreanisches kayagum) zusammen mit KIM Woongsik (koreanisches changgu) und Wang Changyuan (chinesisches guzheng), engagiert, die in der Welt der asiatischen Zithern Stars vom Rang der “drei Tenöre” sind. Zu diesem Anlass entstand meine Montage “Three Zithers and a Pair of Scissors”.

Für die drei Zitherspielerinnen war dieses gemeinsame Musizieren über die Grenzen der eigenen Musiktraditionen hinaus etwas Neues, denn gewöhnlich, wenn sie in Ensembles spielen, entstammen die Instrumente alle derselben Nationalkultur. Wenn die Instrumente einmal mit solchen kombiniert werden, die nicht der eigenen Tradition entstammen, so sind es meist Instrumente des westlichen Symphonieorchesters.0 Die traditionellen Ensemblekompositionen, die sie eigentlich spielen, sind heterofon gesetzt. Interpretation unabhängiger Stimmen innerhalb eines kontrapunktischen Satzes ist ihnen neu und erschwert es ihnen so, mit der gewohnten Brillanz aufzutreten. Für “Three Zithers . . .” sollte ein Kompositionsprinzip gefunden werden, welches die Virtuosität der Spielerinnen zeigt und gleichzeitig ihre kulturell verschiedenen Parts miteinander kommunizieren lässt. Die Form der Montage bot sich als Lösungsmöglichkeit an, und “Three Zithers” wurde eine Montage aus Zitaten ostasiatischer Zittermusik.

Das musikalische Zitat als Metapher für jemanden, der anderswo herkommt, ist in unserer westlichen Kultur nicht neu, und leicht kann man sich in fremden Ländern gelegentlich als wandelndes Zitat fühlen. Auch die Form der Montage als Metapher für einen Ort, an dem Dinge, die aus diversen kulturellen Zusammenhängen stammen, aufeinandertreffen, hat in Europa Tradition. In Mozarts “Don Giovanni” steht die Montage für das Fest, in dem die durch die Tanzzitate repräsentierten Stände sich mischen. Als Ensemble repräsentieren die Zitterspieler in “Three Zithers . . .” die Vision der Potentiale ihrer jeweiligen Kulturen zur individuellen Entwicklung in einem gemeinsamen, internationalen Zusammenhang. Die Kollaboration der Spieler in diesem Stück setzt ihr jeweiliges musikalisches Erbe, das Medium ihrer kulturellen Identitäten, der Interaktion mit einander aus. Das öffnet den Klangraum für interessante Ausdrucksnuancen und reicht in merkwürdige neue Klangwelten hinein, in die sich bisher niemand hineingehört hat.

Um den Interpreten von “Three Zithers . . .” große Freiheit beim Zusammenspiel zu geben, viel die Auswahl der Zitatvorlagen auf Stücke, die ihnen besonders vertraut waren.
- Kayagum sanjo, ein mehrsätziges Genre mit von Satz zu Satz schnelleren tempi, das im Zentrum traditioneller koreanischer Musik steht, hat JI Aeris in ihrer Karriere die meiste Aufmerksamkeit geschenkt.
- Das Koto-Stück “Chaos” (“Midare”) von Yatsuhashi Kengyo aus dem 18. Jahrhundert ist ein Glanzstück in ISHIGURE Masayos Repertoire.
- Die traditionellen Genrestücke "Erhabenes Gebirge, fließendes Wasser", "Lied des Fischers in der Dämmerung", "Das kleine Wolkenfest" und "Tanz der Röcke des Regenbogens" waren von WANG Changyuan selbst zusammen mit ihrem Vater aus gefundenem Musikstücken und Fragmenten zu Prachtstücken chinesischen sozialistischen Realismus komponiert worden.

Um sinnfällige Kriterien für die Auswahl der Zitate und für deren Komposition zu erhalten, wurde eine Gruppe kleiner goldener Statuetten aus dem Harvard Sackler Museum, die fünf fliegende Bhotisatvas darstellt, herangezogen. Jeder von ihnen spielt ein anderes Instrument: Beckenpaar, Leier, Trommel, Flöte und Laute. So entstand ein Zyklus von fünf Stücken, in denen jeweils einer der Bhotisatvas porträtiert wird.1 Teile, die in den Zitatvorlagen am ehesten an das zu porträtierende Instrument erinnern, wurden kopiert und zu Bausteinen der jeweiligen Komposition gemacht, wobei folgende Zuordnungen angewendet wurden.
- Beckenklang ist im Allgemeinen laut, dicht und tonlos.
- Der Klang der Leier ist der, der leeren Saiten, die nicht mit der linken Hand des Spielers moduliert werden.
- Trommelklang wird häufig in Stücken benutzt, in denen Rhythmus akzentuiert ist.
- Die Flöte kann den Ton anhalten.
- Die Laute kann Akkorde spielen.

Guzheng, kayagum und koto entstammen zwar derselben Instrumentenfamilie, aber die individuellen Entwicklungen, die sie innerhalb ihrer jeweiligen Kulturen vollzogen haben, sind weitgehend, und die Spieltechniken sind aufgrund der divergierenden Klangideale ganz verschieden. Deshalb ergeben die Zitate aus den verschiedenen Repertoires kein homogenes Material, sondern assoziieren die porträtierten Instrumente je nach Zither anders. Die Suche nach lauten, dichten, geräuschhaften Ausschnitten zum Beispiel ergab folgendes Ergebnis:
- Die zheng Stücke sind am lautesten und dichtesten in glissando-Passagen, wie denen, die die Ruderbewegung im “Lied des Fischers in der Dämmerung” repräsentieren.
- In “Chaos” gibt es tremoli und abwärtsgerichtete glissandi unterschiedlicher Länge. Eine spezielle koto-Technik, ein schnelles, kurzes Kratzen mit den Plektren entlang einer tiefen Saite, wird benutzt:. Durch die Windungen der Saite entsteht dabei ein Geräusch.
- Im kayagum-sanjo gibt es eine Anzahl von Spieltechniken, die besonders auf den tiefen Saiten zu besonders geräuschvollen Anschlägen führen und beispielsweise am Anfang vom sanjo-Teil “kut-kori” vorkommen.


Um das so unterschiedliche Material in der Komposition möglichst harmonisch zusammenzufügen, sind die Gemeinsamkeiten zwischen den verschiedenen Zitaten benutzt worden.
- Die pentatonischen Stimmungen der Zittern in den zitierten Stücken sind innerhalb einer diatonischen Skala zur Deckung gebracht worden. Der koto-Part steht in pentatonischem e-moll, der kayagum-part in pentatonischem G-Dur und der guzheng-Part entweder in pentatonischem G-Dur oder D-Dur. Im Stück kommen Nebentöne und zeitweise andere Tonarten vor, aber die Stimmungen bleiben konstant.
- Die tempi der Zitate sind einander angepasst worden. Zwar spielen die Spieler immer unterschiedliche Metren oft sogar ohne gemeinsame Taktstriche, aber es gibt zwischen den tempi einfache Relationen. In “Clang” zum Beispiel spielt das koto im 4/4tel Takt bei MM q = 76, kayagum und changgu im 12/8tel Takt bei MM q . = 76 und das zheng im 2/4tel Takt, wieder mit q = 76.

Bei Proben zu “Three Zithers . . .” müssen die zitierten Fragmente, die die Spieler zuvor als Teile von Solostücken verinnerlicht hatten, im Zusammenhang der eigenen Stimme und in Wechselwirkung mit den anderen Stimmen neu sinnfällig gemacht werden. Die zwischen den Stimmen bestehende polymetrische Spannung, erschwert gemeinsames Zählen und erfordert von den Spielern musikalische Flexibilität. Die Spieler, die als Solisten gewohnt sind zu führen, müssen immer wieder ihr eigenes Tempogefühl dem des Ensembles anpassen.

Anpassungsfähigkeit ist auch bei der Erarbeitung der dynamischen Balance zwischen den Stimmen nötig. Dem steht die Konstruktion der Instrumente entgegen. Am intimsten ist der Klang des kayagum, dessen Seidensaiten relativ lose gespannt sind und mit bloßen Fingern gezupft werden. Im Unterschied zu “Chaos” und in den chinesischen Charakterstücken gibt es im sanjo keine Doppelgriffe oder Akkorde, die es ermöglichen würden, dass mal mehr Saiten gleichzeitig klingend der Klang lauter wäre. Am lautesten ist das sehr resonante und mit Stahlsaiten bespannte guzheng. Zwar ist die Kenntnis der dynamischen Unterschiede zwischen den Instrumenten in die Komposition miteingegangen, aber für die Spieler ist es neu, die Musik der Zitate als Begleitung zu spielen.


Im Uraufführungspublikum setzte sich der Prozess des gegenseitigen sich Annäherns, der komponiert worden war und in den Proben zwischen den Musikern praktiziert wurde, fort. Die Reaktionen waren, wie zu erwarten, nicht frei von der Suche nach Bedeutung auf der Ebene kultureller Identität. Im Allgemeinen ist niemand im Publikum mit den Klängen aller dreier Musikkulturen, die in “Three Zithers . . .” zum Ausdruck kommen, gleich vertraut. Wichtig ist, dass durch das Zitieren von ikonenhaften Stilen mit ihren spezifischen Tonprogressionen und Tonmodulationsarten in Zuhörern bestimmte Heimatgefühle und Erinnerungen geweckt werden. Man fühlt sich durch den Klang der Zithern in seiner kulturellen Zugehörigkeit angesprochen.

Mit Ohren und Bewusstsein so vorgeformt muss die Hörerfahrung der Einzelnen im Publikum von ihrem jeweiligen kulturellen Hintergrund abhängen. Äußerungen von Besuchern der Uraufführung nach dem Konzert zeigen, wie das bekanntere Instrument im Gesamteindruck der Musik aus dem Klangbild durch die Hörerinnerung verstärkt hervorsticht.

Diese musikalischen Vorurteile hat jeder aufgrund seiner persönlichen Hörerfahrung. Ein kulturelles Umfeld, das weder das Unbekannte, Neue goutiert noch Abstraktionen der eigenen Tradition betreibt, verstärkt diese Vorurteile. Das hat zur Konsequenz, dass das Ohr darin geschult ist, mehr Nuancen innerhalb der eigenen Umwelt zu bewerten, aber der Musik unbekannter Kulturen ausgesetzt der musikalische Erfahrungsballast den Zugang dazu kanalisiert. Sind uns die kulturellen Hintergründe einer Komposition unbekannt, dann hören wir weniger konkrete Bedeutungen, sondern mehr abstrakte Form oder etwas in unserem Sinne Unvollständiges.

Zuletzt bleibt das Hören von Musik eine exklusiv persönliche Erfahrung. Wenn wir uns unsere persönlichen Hörerfahrungen einander mitteilen, kann es gelingen sich gegenseitig den Hörhorizont zu erweitern. Ansätze dazu konnte man während der Proben zur Uraufführung und während des Empfangs danach miterleben. Die Reflexion über das Stück kann die Frage aufwerfen, was der wirkliche Inhalt von Musik ist. Wenn der Klang eines Instrumentes beim einen patriotische Empfindungen auslöst, während ein anderer feststellt das dieser Klang gut mit einem anderen harmonisiert, dann mag auch die Frage auftauchen, was denn das eigentlich musikalische an einer national kulturellen Empfindung sei.

0MIKI Minorus “Orchestra Asia” das sich aus 51 Instrumenten aus den drei Ländern Nordostasiens zusammensetzt, ist eine der interessanten frühen Ausnahmen in Ostasien. (http://www2u.biglobe.ne.jp/~m-miki/en/supervise/ora.html)

1 Aufnahmen dieser Stücke auf dem Internet unter http://www.mp3.com/StefanHakenberg.

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